Bürgergeld: Jobcenter müssen Ermessensentscheidungen ausüben – Urteil

Lesedauer 3 Minuten

In Deutschland liegen viele Vorschriften im Ermessen der zuständigen Behörde. Ermessen heißt aber nicht Willkür. Es muss ausgeübt werden und begründet sein. Ansonsten handeln die Zuständigen rechtswidrig. Deshalb bekam ein Bürgergeld-Bezieher als Siegen jetzt Recht, als er eine Arbeit fand und dafür Fahrkosten in Anspruch stellte.

Jobcenter müssen nämlich Ermessensentscheidungen auch ausüben und begründen. Wenn das nicht passiert, ist der Bescheid vom Jobcenter rechtswidrig und kann angefochten werden.

Von Nordrhein-Westfalen nach Hessen

Der Betroffene nahm in Kauf für die neu gefundene Stelle von Siegen bis nach Marburg zu pendeln. Für diese tägliche weite Entfernung beantragte er beim Jobcenter Fahrtkostenbeihilfe. Für Juni 2022 bewilligte die Behörde ihm lediglich 200 Euro. Real musste der Betroffene mehr als 600 Euro für die Fahrten zahlen.

“Ermessenserleitende Weisungen”

Das Jobcenter behauptete, die ungenügende Unterstützung entspräche den “Ermessungsleitenden Weisungen” für Pendelfahrten. So betrage die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz 48 Kilometer. Bei 0,20 Euro pro Fahrtkilometer seien das 19,20 Euro pro Arbeitstag.

“Kein begründeter Ausnahmefall

Lediglich für Juni 2022 könne gefördert werden, da ab Juli 2022 das zu erwartende Einkommen einer Fahrtkostenhilfe entgegen stünde. Es gebe keinen “begründeten Ausnahmefall” für eine weitergehnde Förderung.

“Keine ordnungsgemäße Ermessensausübung”

Der Betroffene wurde über den DGB vor dem Sozialgericht vertreten. Seine Anwältin argumentierte: Das Jobcenter habe kein Ermessen ausgeübt. Es hätte eine Einzelfallprüfung geben müssen, und die ermessensleitende Richtlinie müsse auf einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung beruhen.

Das Gericht fordert eine Begründung

Das Gericht stimmt der Klageschrift zu (Az: S 91 AS 2584/22). Eine Förderung eines Arbeitslosen bei einer beruflichen Eingliederung umfasse die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit diese nicht vom Arbeitgeber erbracht würden. Der Leistungsträger (hier das Jobcenter) hätte über den Umfang der zu erbringenden Leistungen zu entscheiden – im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens. Diese müsse begründet werden.

Es kommt auf den Einzelfall an

Die Darlegung müsse sich auf den Enzelfall beziehen, gegenüberstehende Interesen abwähgen und Überlegungen mit tragender Bedeutung beinhalten. Ermessensleitende Weisungen müsten dem Leistungsträger genug Raum für die Ausübung von Ermessen belassen.

Was kann das Gericht überprüfen?

Die Ausübung von Ermessen könnte vor Gericht nur bedingt überprüft werden. Gerichte könnten feststellen, ob eine Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt hätte oder nicht im Bescheid zum Ausdruck gebracht hätte. Auch eine Unterschreitung sowie eine Überschreitung des Ermessens wäre möglich. Sachfremde Erwägungen würden als “Ermessensfehlgebrauch” bezeichnet.

Kein Ermessen ausgeübt

Das Jobcenter hätte nach Ansicht des Gerichts im angefochtenen Bescheid überhaupt kein Ermessen ausgeübt. Es handle sich um Ermessensnichtgebrauch.

Keine konkrete Darlegung der Ermessensgründe

Das Jobcenter habe dem Betroffenen zwar mit 200 Euro pro Monat den Maximalwert der nach ermesenslenkenden Weisungen anzuerkennenden Maximalwert zuerkannt. Damit allein hätte dennoch die Pflicht bestanden, die Erwägungen zur Forderungshöhe umfassend darzulegen.

Ist ein Ausnahmefall begründet?

Ob ein Ausnahmefall begründet oder unbegründet ist, sei nur erkennbar, wenn die Ermessensgründe konkret dargelegt wurde. Der allgemeine Hinweis der Jobcenters auf die Ausübung des pflichgtgemäßen Ermessens stelle hingegen lediglich eine Leerformel dar.

“Nur Hilfe zur Orieentierung”

Das Jobcenter habe nicht dargelegt, aus welchen Gründen der Betroffene keine höheren Leistungen im Einzelfall erhalte. Eine im Einzelfall höhere Leistung sei indessen denkbar. Die Weisung sei nur eine Hilfe zur Orientierung, und im Einzelfall könne von ihr abgewichen werden.

Entscheidungen sind zu dokumentieren

Die Weisung erhalte zudem den Hinweis, getroffene Entscheidungen zu dokumentieren. Das Jobcenter stehe deshalb in der Pflicht, den Einzelfall des Klägers zu prüfen, und die spezifischen Erwägungen darzulegen – auch die Annahme, ob es sich um einen Ausnahmefall handle.

Keine nachgeschobenen Gründe

Das Jobcenter könne auch keine nachträgliche Begründung liefern. Ermessenserwägzungen könnten nicht nachgeschoben werden, wenn von vorneherein kein Ermessen ausgeübt worden sei.

Bescheid aufgehoben

Das Gericht hob deshalb den angefochtenen Bescheid des Jobcenters auf. Die Behörde wurde verpflichtet, dem Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.

Leistung erhöht

Im neuen Bescheid erhöhte das Jobcenter den Betrag dann auf die Höhe, die der Betroffene beantragt hatte. Uneinigkeit bestand indessen über die Dauer der Zahlung.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...